STADTWERKE MONITOR: Wie reif ist das Ganze schon?
Heinemann: Auf der einen Seite stehen wir immer noch ziemlich am Anfang, was die Technologie betrifft. Wenn wir uns die Rückmeldungen der Teilnehmer unserer Studie ansehen, dann spielen aktuell noch bestehende technische Barrieren eine entscheidende Rolle.
Eine der größten Aufgabenstellungen ist die wirkliche Skalierbarkeit der Technologie, die vor allem mit der Reduktion des Energieverbrauchs, der beim Erstellen der neuen Blöcke entsteht, sowie mit der Verbesserung der Transaktionsgeschwindigkeiten zusammenhängt.
Beide Themen sind ganz eng mit der Konstruktion des Konsensmechanismus verquickt, sozusagen dem Herzstück einer Blockchain, bei dem definiert ist, wie genau sich die Teilnehmer auf einen neuen Block (oder Ledger) in der Kette einigen. Hier gibt es permanent neue Innovationen und Weiterentwicklungen – mittlerweile bereits weit über den bei Bitcoin verwendeten, energieintensiven Konsensmechanismus des Proof-of-Work hinaus.
Im Zusammenhang mit Blockchain fällt gerne der Begriff des Web 3.0, da die Technologie ein wirklich dezentrales, distribuiertes Netzwerk ermöglicht. Wenn wir nun die Parallele ziehen zur Entwicklungsgeschichte des Internet, dem Web 1.0, dann befinden wir uns jetzt in der Mitte der 1980er Jahre, als die Firmen begannen, erste private, in sich geschlossenen Intranets aufzubauen, um Informationen zu teilen. Denn genau darauf fokussieren sich heutzutage die Blockchain-Aktivitäten der Unternehmen: Sie entwickeln erste private und zugangsbeschränkte Blockchain-Lösungen, um digitale Werte auszutauschen.
In diesem Sinne ist die hohe Anzahl der Unternehmen, die sich auch in der DACH-Region bereits heute mit dem Thema Blockchain beschäftigen, sowohl auf Anbieter- als auch auf Kundenseite, beeindruckend. Auch wenn wir uns hinsichtlich des Reifegrades noch am Anfang der Entwicklung befinden, so zeigen doch der Vergleich und ein Blick in die Aktivitäten im Markt bereits auf, wieviel Potential noch in dieser Technologie steckt.
STADTWERKE MONITOR: Insbesondere geistern vermehrt Hacking-Themen rund um die Blockchain durch die Medien. Wie schätzen Sie die Sicherheitsthematik ein?
Heinemann: Was in den Medien vor allem Aufmerksamkeit erzeugt, sind Fälle, in denen große Mengen an Krypto-Währungen aus den digitalen Geldbörsen ihrer Besitzer entwendet werden – meist in Zusammenhang mit bekannten Krypto-Börsen. Dazu muss klar sein: In diesen Fällen wird nicht die jeweilige Blockchain selbst gehackt, sondern der Zugriff auf die digitalen Werte; meist liegen die Sicherheitslücken hier bei den Krypto-Börsen bzw. lassen sich auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen der Besitzer zurückführen.
Für eine Blockchain gilt grundsätzlich: Nur wer über 51% der Computing-Power verfügt, kann die Informationen in einer solchen Datenbank nachhaltig manipulieren (die sogenannte 51%-Attacke). Die kritischen Faktoren sind somit Dezentralität und Distribution (Stichwort Netzwerkeffekt), um eine ausreichend kritische Masse an Teilnehmern zu erreichen, welche die nachhaltige Sicherheit einer (öffentlichen) Blockchain garantieren.
STADTWERKE MONITOR: Welche Strategien (make or buy) sehen Sie hier für Stadtwerke?
Grundsätzlich raten wir unseren Kunden, mit einem Piloten zu starten. Ein Pilot, der vom Tagesgeschäft komplett entkoppelt ist, hilft einerseits, die Technologie und ihre Möglichkeiten besser zu verstehen und kann andererseits mit einem nachvollziehbaren Produkt auch intern für weitere Akzeptanz werben.
Heinemann: Zeitgleich offenbart der Pilot sehr schnell und direkt einen Überblick über die noch fehlenden Kompetenzen im Unternehmen. Wie erwähnt, sehen immerhin 41% unserer Studienteilnehmer fehlende interne Kenntnisse noch als eine der Hauptherausforderungen an. In diesen Fällen raten wir vor allem zu einem Zusammenschluss mit Partnern. Es gibt mittlerweile eine ausreichende Anzahl von Implementierungs-Experten, die Interesse an einer gemeinsamen Entwicklung von spannenden Pilot-Projekten haben.
STADTWERKE MONITOR: Inwiefern spielt die Unternehmensgröße eine Rollen und mit welchen Investitionsvolumina muss gerechnet werden?
Heinemann: Die Unternehmensgröße ist aus unserer Sicht nicht maßgeblich – entscheidend sind der jeweilige individuelle Anwendungsfall und die konkreten Anforderungen des Unternehmens.
Wie eingangs erwähnt, kann die Technologie ein Enabler für neue Geschäftsmodelle oder für Prozessoptimierungen sein. Aber das heißt auch, dass Blockchain nicht die Lösung für alle Probleme ist.
In vielen Fällen reicht auch weiterhin eine zentral gemanagte Datenbank aus. Die erste Frage sollte also stets lauten: Benötige ich wirklich eine Blockchain zur Lösung meines aktuellen Problems?Erst in einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage des Investitionsvolumens. Und das hängt wiederum ganz erheblich vom Umfang der angedachten Lösung an. Auch hier bietet es sich an, zunächst mit einem zeitlich und finanziell klar begrenzten Pilotprojekt zu starten.
Vielen Dank für das Interview!
Jan Philipp Heinemann ist Senior Consultant bei der Detecon (Schweiz) AG. Er berät Kunden im öffentlichen und privaten Sektor mit Fokus auf Financial Services und die Telekommunikationsindustrie. Sein Schwerpunkt liegt auf den Themen Digitalisierung und Digitalstrategie, inklusive Technologietrends wie Blockchain und Künstliche Intelligenz sowie der Analyse von deren ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen. Zusätzlich arbeitete er intensiv an der Studie „Disruption in der Energiewirtschaft – Ist Blockchain die disruptive Technologie für das Utility 4.0? mit.