HomeManagementStadtwerke Norderney – warum eine kleine Insel eine große Rolle spielt

Stadtwerke Norderney – warum eine kleine Insel eine große Rolle spielt

Die Insellage. Der Tourismus. Dazu die Lage mitten im UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer. Die Stadtwerke Norderney meistern diverse Herausforderungen, die viele Festlandstadtwerke so nicht kennen. Geschäftsführer Holger Schönemann spricht mit dem Stadtwerke Monitor über die Bedeutung, die E-Mobilität, erneuerbare Energien und eine autarke Stromerzeugung für die 6000-Einwohner-Insel haben. Und er erklärt, wieso das nur 26,29 Quadratkilometer große Eiland seinerseits für europäische Forschungsprojekte im Bereich der Energiewende eine entscheidende Rolle spielt.

Herr Schönemannn, steigen die Meeresspiegel weiter an, sind die Folgen für eine Insel, die an ihrer höchsten Stelle fünf Meter über Normalnull liegt, vermutlich gravierend… 

Natürlich. Und deswegen ist die Dekarbonisierung sehr wichtig für uns, allein schon, damit es die Insel in 100 oder 200 Jahren noch gibt. Auch wenn wir allein den Klimawandel natürlich nicht aufhalten können. Aber als Stadtwerk mitten in einem Naturpark, dem Niedersächsischen Wattenmeer, tragen wir eine gewisse Verantwortung. Darum freuen wir uns sehr, dass uns gerade eine Potenzialstudie zur energetischen Verwendung von Bioabfällen auf Norderney genehmigt worden ist. Denn noch werden unsere Abfälle aufs Festland verschifft. Das ist uns ein Dorn im Auge und wir wollen herausfinden, wie sich die Energie, die in dem Abfall steckt, am besten nutzen lässt. 

Ihr „Neystrom“ ist schon jetzt CO2-neutral. Versteht es sich von selbst, dass eine Nordsee-Insel umgeben von Offshore-Anlagen Ökostrom anbietet?

Eine einzige dieser Windmühlen würde ausreichen, um den gesamten Jahresverbrauch von Norderney zu decken. Leider können wir da aber nicht angreifen, weil die Systeme direkt an den Übertragungsnetzbetreiber angeschlossen sind. So geht zwar die Verkabelung über die Insel, aber außer am Abend die Blinkelichter zu sehen, haben wir nichts davon, was mich sehr ärgert. Bei unserem Ökostrom handelt es sich größtenteils um Zertifikat-basierten Naturstrom. Doch produzieren wir auch selbst Energie, indem wir das „Abfallprodukt“ Strom unserer acht Blockheizkraftwerke ins Insel-Stromnetz einspeisen. Mit diesem grünen Strom, für den wir extra teureres Biogas einkaufen, sowie der Energie aus den PV-Anlagen auf den Dächern Norderneys decken wir 25 Prozent unseres Jahresbedarfs von 42 Gigawattstunden ab. Je mehr Strom wir auf der Insel selbst produzieren können und nicht erst rüber transportieren müssen, desto günstiger ist er und desto unabhängiger sind wir von Preisschwankungen auf dem internationalen Strommarkt.

Per Software Treibhausgase senken

Andersherum als man sich das vielleicht vorstellt, beliefern Sie sogar Festlandkunden mit Norderney-Strom. Wie geht das denn?

Dabei handelt es sich um ein Liebhaberprojekt für Norderney-Fans, die auch zuhause den Strom ihrer Lieblingsinsel beziehen möchten. Preislich können wir da nicht mit den vielen Billiganbietern konkurrieren. Und natürlich ist es so, dass die Strom- und Gaslieferung in erster Linie vom Festland auf die Insel erfolgt und zwar über den Vorlieferanten EWE Netz. Wir sind dann wiederum der Energielieferant für die Norderneyer und gleichzeitig als Netzbetreiber zuständig für die Versorgungssicherheit auf der Insel.

Im April 2019 startete das EU-Projekt INSULAE, das durch die Kombination innovativer Kommunikationstechnologien mit erneuerbaren Energieerzeugern und Stromspeichern die Senkung der Treibhausgase auf den Inseln pushen will. Welche Rolle spielt Norderney da?

Ziel des Pilotprojekts ist es, eine Software in Form eines KI-Systems zu entwickeln, die den europäischen Inseln bei ihrer weiteren Dekarbonisierung helfen soll. Dafür werden verschiedene Parameter bezüglich Infrastruktur, lokaler Energieerzeugung und -verbrauch gesammelt. In höchst komplizierten Berechnungen wird dann eine Modellarchitektur entworfen, die später individualisierte Empfehlungen an die jeweiligen Entscheider ermöglicht. Norderney ist eine von vier Beobachterinseln, die die Daten liefern und später testen, ob das Entscheidungssystem funktioniert und skaliert. Beteiligt sind die absoluten High Brains Europas. Das ist absolut spannend.

Auch bei einem anderen EU-Forschungsprojekt mischt Norderney mit. Worum geht es bei INCIT-EV?

Um die schnellere Verbreitung fortschrittlicher Ladeinfrastrukturen und -technologien für die Elektro-Mobilität. Auf Norderney, einer der Follower-Regionen, werden wir die insgesamt fünf Teilprojekte auf ihre Tauglichkeit testen, darauf, ob man Geschäftsmodelle aus ihnen entwickeln kann. Besonders spannend ist für uns die drahtlose Ladeinfrastruktur für Taxi-Haltebereiche, die in Zaragoza erforscht wird. Sie müssen sich das so vorstellen, dass Sie mit dem Wagen einfach über einer überdimensionalen Spule halten, die die Batterie blitzschnell und drahtlos auflädt. Für das Taxiunternehmen, das demnächst nur mit E-Autos über die Insel fahren wird, wäre so eine Schnelllademöglichkeit sensationell. Den privaten E-Autofahrern stehen schon jetzt fünf öffentliche Ladesäulen der Stadtwerke zur Verfügung, deren Nutzung ab Frühling 2022 allerdings kostenpflichtig sein wird. Bei einem Verbrauch von inzwischen 10.000 Kilowattstunden können Sie das nicht mehr kostenlos anbieten.

Angesichts von 50.000 Gästen, die zusätzlich zu den regulären 6.000 Einwohnern im Sommer Strom, Gas und Wasser verbrauchen – wie innovativ und kreativ geben sich die Stadtwerke hinsichtlich klimafreundlicher Technologien?

Wir managen mit knapp über 40 Mitarbeitern ein Netz ähnlich dem der Stadtwerke Emden. Zum Vergleich: Dort sind 150 Menschen beschäftigt. Das funktioniert hier nur, weil bei uns eine erhebliche Effizienz vorhanden ist. Einem Stadtwerk auf einer Insel, deren Haupteinnahmequelle der Tourismus ist, wird in Pandemiezeiten allerdings in anderer Weise sehr viel abverlangt. Im Gegensatz zu einigen Festlandstadtwerken, die Traumabschlüsse vorweisen konnten, haben wir gerade so eine schwarze Null geschafft. Das hilft nicht gerade, weitere Vorhaben zu realisieren.

Norderney mit WLAN am Strand

Dabei haben Sie gerade erst ein riesiges Projekt auf die Beine gestellt, das Ihnen als Mann der Telekommunikation besonders am Herzen liegt und das allen Norderneyern sowie den Feriengästen sehr zugute kommen wird.

Wir sind dabei auf der gesamten Insel inklusive der sehr dünn besiedelten Gebiete im Ostland Glasfaser zu verlegen. Ab Sommer 2022 wird an den beiden Stränden und den Campingplätzen dort unseren Gästen jetzt ein hervorragendes WLAN mit 300 Mbits pro Sekunde zur Verfügung stehen. Einen ersten Geschmack davon bekommt man auf dem Kurplatz, der bereits mit drei Zugangspunkten versorgt ist. Eine völlig andere Situation als bisher.

Verraten Sie uns am Ende noch etwas, was kaum ein Norderney-Urlauber weiß?

Dass wir, was Trinkwasser angeht, nicht nur selbstversorgt sind, sondern dass das Wasser, was bei uns aus der Leitung kommt, auch noch besonders gut ist. Darauf sind wir sehr stolz. Zu verdanken haben wir das einer Süßwasserlinse unter der Insel. Seit 1889 fördern wir mit Tief- und Flachbrunnen dieses versickerte Regenwasser, das aufgrund der kaum vorhandenen Landwirtschaft so gut wie keine Belastungen aufweist. Das Norderneyer Trinkwasser ist super sauber, weich und selbst für Babynahrung hervorragend geeignet. Es sollte bei uns wirklich niemand Plastikwasser aus dem Supermarkt kaufen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Holger Schönemann (56) hat in Hannover Elektrotechnik studiert und später für die Telekom Mobilfunknetze in ganz Deutschland aufgebaut, bevor er in Köln als Geschäftsführer eines Beratungshauses arbeitete. Zu der Zeit pendelte er regelmäßig nach Norderney, wo seine Frau bereits als Rechtsanwältin und Notarin tätig war. Nach 21 Jahren Wochenendehe folgte Schönemann seiner Jugendliebe auf die Insel, wo er seit 2017 nicht nur den Stadtwerken vorsteht, sondern auch deren Töchtern Wohnungsgesellschaft und Flughafen. In der Pandemie hat der Geschäftsführer das enge Netzwerk mit seinen sechs ostfriesischen Kollegen sehr schätzen gelernt. Denn von Landes- und Bundesregierung hätte er sich deutlich mehr Unterstützung bei der Umsetzung oft tagesaktueller und häufig ungenauer Corona-Vorschriften gewünscht.


Fotos: Stadtwerke Norderney, Janis Meyer, Günther Dieke