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Buchtipp: „G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke“

Zum Start ins neue Jahr zur Abwechslung mal ein Lesetipp. Kein Sachbuch, aber auch keiner dieser Katastrophen-Thriller à la „Blackout“, in denen die „Energiewirtschaft“ leicht erwartbar den Nährboden für apokalyptsche Szenarien bereitet. Wir empfehlen stattdessen den 1998 erschienen Science-Fiction-Trash-Comic-Krimi von Matt Ruff: „G.A.S. – Die Trilogie der Stadtwerke.“ Achtung: Es geht in die New Yorker Kanalisation – und es wird von vorne bis hinten verrückt…

Eine halbwegs stringente Zusammenfassung dieses Füllhorns kurioser Figuren, Szenen und Handlungssträngen lässt sich kaum geben. Was Matt Ruff in seinem zweiten Roman veranstaltet, gleicht einem Fiebertraum, einem erzählerischen Rausch. Auch einem konkreten Genre lässt sich dieses dystopische Gag-Feuerwerk kaum zuordnen. Aber gut, irgendwie müssen wir dem Werk ja Herr werden, um es Ihnen ans Herz zu legen. Insofern, steigen wir einfach ein.

Von mutierten Haien und künstlicher Sklavenarbeit

New York, 2023: Durch die Kanalisation streunt Meisterbrau, ein mutierter weißer Hai, der klassische Musik liebt. Hoch oben, in Manhatten, arbeitet der Trillionär Harry Gant daran, einen neuen Turm zu Babel zu bauen. Das Monument soll des Menschen Mut zum Träumen symbolisieren. Grants globale Geschäfte werden von dem Ökopiraten Philo Dufresne (aus seinem Yabba-Dabba-Doo getauften U-Boot heraus) nicht nur kritisch beäugt, sondern auch nach Kräften sabotiert. Denn: „G.A.S.“ – ein Gasphasiger Analoger Supercomputer – dreht (als hochaktuelles Beispiel für eine außer Kontrolle geratene KI) komplett durch und droht, die Menscheit auszulöschen. Indes soll ein aus Gants Fabriken stammender, automatischer Diener (von der Gesellschaft politsch very, very incorrect „Elektro-N…“ gerufen) den Wall-Street-Tycoon Anderson Teaneck umgebracht haben. Von jenen Robotern lassen sich wohlhabende Weiße sozusagen den Arsch pudern, nachdem eine Epidemie alle Schwarzen ausgelöscht hat. (Ja, Ruff hantiert virtuos mit dem Dampfhammer der Satire.) Mit der Aufklärung des Mords wird ausgerechnet Harry Gants Exfrau und Detektivin Joan Fine beauftragt, unterstützt von einer einer 181-jährigen Bürgerkriegsveteranin…

Mit der Magisterarbeit zum Kult-Autor

Wer kommt auf so einen im besten Sinne „versponnenen“ Plot? 1965 in New York geboren, avancierte Matt Ruff gleich mit seinem Debüt zum Kultautor. „Fool on the Hill“ hieß dieser Erstling, war eigentlich eine Magisterarbeit im kreativen Schreiben und zeugt schon von der offenbar grenzenlosen Fantasie des Schöpfers. „Mein Vater kommt aus Detroit, meine Mutter ist eine Missionarstochter und wuchs in Süd-Amerika auf, also meine ganze Erziehung war eine Art multikulturelles Experiment. Deshalb bringe ich in meinen Büchern gerne völlig verschiedene Persönlichkeiten zusammen, Menschen und Tiere und andere Dinge, die normalerweise überhaupt nichts miteinander zu tun haben, und dann gucke ich, wie die miteinander zurechtkommen“, hat Ruff dem Deutschlandfunk in einem Interview erzählt. Zuletzt sorgte sein Roman „Lovecraft Country“, nicht zuletzt auch als Serienverfilmung, für Aufsehen.

Infos zum Buch:

Matt Ruff: G.A.S.
Die Trilogie der Stadtwerke. Roman
Übersetzt aus dem Englischen von Ditte Bandini 
624 Seiten
Hanser Literaturverlage
ISBN : 978-3-446-19290-4
€ 23,50 (D)
€ 24,20 (A)

In der Stadtwerke-Trilogie sind es (speziesübergreifend) fast 40 Charaktere, die miteinander zurechtzukommen versuchen. Auf 620 Seiten, die voller Querverweise auf Klassiker der amerikanische (Science-Fiction-)Literatur stecken. Belesene Zeitgenossen stoßen auf Isaac Asimov, Thomas Pynchon, Kurt Vonnegut, Douglas Adams sowie die Schriftstellerin und Philosophin Ayn Rand – letztere sogar als Protagonistin. Ob man hierzulande alle Anspielungen checkt, darf bezweifelt werden; dass jeder Gefallen findet an dieser überbordenden Lust am Fabulieren ebenso. Ruffs Stil, sein aus dem Chaos geborenes Universum polarisiert.

Matt Ruff polarisiert die Kritiker

Im Spiegel urteilte der Journalist Jörg Häntzschel, Ruff verschwende sein Potential, „weil er sich zwischen zwei Genres nicht entscheidet. Liest man „G.A.S.“, wie im Vorwort empfohlen, als Satire auf die Gegenwart, nehmen einem Detailversessenheit und Farbenpracht die Sicht. Genießt man die opulenten Bilder und liest das Buch wie einen Comic, kommt die Humorigkeit herein und macht das Licht an. An Ruffs zwanghaftem Unernst und seinem Irrglauben, Chaos allein sei schon lustig, geht das Buch kaputt.“ Der Deutschlandfunk dagegen feiert Ruffs Schreibstil als einfallsreich, erzähltechnisch brillant und hochunterhaltsam: „In seiner Phantasie hat sich Matt Ruff viel von seiner Kinderseele bewahrt: Das Tohuwabohu auf der Yabba-Dabba-Doo ließe auch Fünfjährige vergnügt aufquietschen. Matt Ruffs erzählerischer Gestus hat etwas Anarchistisches, und vielleicht macht das seinen großen Erfolg unter jungen Lesern aus. Seine Geschichten sind bunt, laut und schnell, sie wirken befreiend und lustvoll, langweilig sind sie nie.“

Vielleicht genau das Richtige für Stadtwerker, die mit einem Lachen ins Jahr starten wollen.


Titelfoto: Pexels auf Pixabay | Coverfoto: Hanser