Mehrwerte: Was kann die Blockchain-Technologie für die Energiebranche leisten? In unserem Interview gibt Jan Philipp Heinemann, Senior Consultant bei der Detecon (Schweiz) AG, eine Einschätzung ab – basierend auf der Studie „Disruption in der Energiewirtschaft – Ist Blockchain die disruptive Technologie für das Utility 4.0?“. Die Studie können Sie unter folgendem Link herunterladen: www.detecon.com/de/wissen/studie-EVU-blockchain
STADTWERKE MONITOR: Herr Heinemann, an anderer Stelle erklären wir, was es mit der sogenannten Blockchain auf sich hat. Darauf aufbauend an Sie nun die Frage: Was genau kann die Blockchain-Technologie für die Energiebranche leisten?
Heinemann: Wir sehen die Technologie vor allem als wichtigen Enabler, der es den EVUs ermöglicht, den Wandel hin zum digitalen Energiedienstleistungsunternehmen erfolgreich zu vollziehen. Die Branche sieht sich momentan mit den Herausforderungen der vier „D“ konfrontiert: Dekarbonisierung und Dezentralsierung der Erzeugung, Digitalisierung der Energieversorgung und Demokratisierung der Energiekunden. Vor diesem Hintergrund bietet die Blockchain- bzw. Distributed Ledger Technologie die idealen Komponenten, um die Prozesse in den sich neu entwickelnden komplexen Wertschöpfungsnetzwerken perfekt zu unterstützen.
STADTWERKE MONITOR: Welche Anwendungsfälle ergeben sich und wie hoch schätzen Sie das Marktpotenzial für Blockchain-basierte Modelle 2025 ein?
Heinemann: Wir haben für die Energiebranche vor allem zwei grundsätzliche Einsatzfelder erkannt: Zum einen kann die Technologie sichere Transaktionen oder Informationsaustausch zwischen mehreren, sich nicht gegenseitig vertrauenden Parteien stattfinden lassen. Und zum anderen findet die Technologie sinnvolle Anwendung, wenn eine nachträgliche Unabänderbarkeit von Daten von zentraler Bedeutung ist.
Wir erwarten, dass die Blockchain-Technologie somit zukünftig einerseits zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle beitragen wird und andererseits Prozesse und Akteure in bestehenden Wertschöpfungsstufen im Energiemarkt nachhaltig verändern kann. Wie wir in unserer Studie feststellen konnten, erwarten die Marktteilnehmer neue Geschäftsmodelle vor allem in den Bereichen e-Mobilität und Nachbarschaftsmodelle, während im Hinblick auf die verschiedenen Wertschöpfungsstufen, allen voran beim Energiehandel und Vertrieb, mit größeren Veränderungen gerechnet wird.
Hinsichtlich des Marktpotentials lässt sich zum heutigen Zeitpunkt zumindest so viel feststellen: Die Marktteilnehmer in unserer Studie erwarten die Marktreife der Technologie in ca. vier bis fünf Jahren. Dazu passt, dass im letzten Sommer – zum Zeitpunkt unserer Umfrage – zwar bereits 46% der von uns befragten Unternehmen schon konkrete Maßnahmen und erste Pilotprojekte gestartet hatten, um Blockchain in ihren Unternehmen zu implementieren; der Status befand sich jedoch überwiegend noch in der Planungs- oder Proof of Concept-Phase.
Diese Momentaufnahme für den Energiesektor im DACH-Raum passt somit in das Gesamtbild globalerer Studien: Betrachtet man verschiedene Prognosen, so lässt sich in den nächsten drei Jahren ein massiver Anstieg der Investitionen in die Blockchain-Technologie erwarten. Die Schätzungen gehen von weltweit jährlichen Investitionen zwischen USD 8 – 12 Mrd. im Jahr 2022 aus. Das entspricht mindestens einer Verdreifachung heutiger Investitionsvolumina.
Laut Gartner wird der geschäftliche Mehrwert von Blockchain bis 2025 auf etwas über USD 176 Mrd. anwachsen, vermutlich hauptsächlich getrieben durch Kosteneinsparungen und neue Geschäftsmöglichkeiten. Diese Entwicklung würde demnach die Investitionskosten durchaus rechtfertigen. Zudem hatte das Weltwirtschaftsforum (WEF) bereits 2015 in einer Untersuchung die Erwartung aufgestellt, dass bis 2027 rund 10% des globalen BIP in einer Blockchain gespeichert sein könnte. Wenn wir das in Relation setzen: Zum heutigen Zeitpunkt (Juli 2019) liegt der totale Marktwert des Bitcoins (in der Blockchain) bei circa USD 185 Mrd. – dies entspricht nur rund 0,22% vom globalen BIP mit USD 85 Billionen.
STADTWERKE MONITOR: Welche Herausforderungen sehen Sie bei EVU und hier speziell Stadtwerken?
Heinemann: Wie wir feststellen konnten, sind die Herausforderungen vor allem extern gelagert: unklare regulatorische Rahmenbedingungen, die derzeit noch als größte Hürde für den Einsatz von Blockchain-Technologien wahrgenommen werden. Ein wesentlicher Grund dafür sind sicherlich die wachsenden Anforderungen an den Datenschutz.
Aber es gibt natürlich auch interne Herausforderungen: Knapp 41% der Studienteilnehmer gaben an, dass ihre internen Prozesse sowie ihre IT-Landschaft derzeit noch eine Hürde für den Einsatz der Technologie darstellt. Vor allem wurde auch deutlich, dass es häufig an erforderlichen Fachkenntnissen im Unternehmen fehlt. Das Thema Fachkräftemangel spielt eine ganz ausschlaggebende Rolle. Das mag vor allem für kleinere Stadtwerke ein sehr entscheidendes Thema sein.
Grundsätzlich konnten wir feststellen, dass die Implementierung von Blockchain als neue Technologie alle Unternehmen vor völlig neue Herausforderungen stellt.