„Wer hats erfunden?“ Mit diesem Slogan haben sich ein Kräuterbonbon und sein Herkunftsland in die Köpfe von uns Deutschen gebrannt. Die Schweizer dürfen sich rühmen, auch in einem anderen Sektor zu den „Erfindern“ – im Sinne von Pionieren –zu gehören: dem Sektor der Elektromobilität. Im bekannten Bergort Zermatt im Kanton Wallis verkehren fast ausschließlich eigens gebaute Elektromobile. Das erste schon 1947! Was können sich deutsche Gemeinden abschauen? Wie steht es hierzulande um die kommunale E-Mobilität? Der Stadtwerke Monitor fragt nach.
Zermatt. Über dem Ort thront einer der berühmtesten Berge der Welt. Das Antlitz des Matterhorns ziert eine Schokoladenverpackung, seine Erstbesteigung gilt als eine der schlimmsten Tragödien des Bergsports. Die Sechstausend-Seelen-Gemeinde beherbergt sommers wie winters massenhaft Gäste: rund 30.000 pro Jahr. Doch die können, ja dürfen nicht mal eben einfach mit dem privaten Pkw ins mondäne Feriendomizil tuckern. Vielmehr führt die Anreise zunächst nach Täsch, das rund fünf Kilometer talauswärts liegt. Dort hat man sein Fahrzeug im über 2.000 Stellplätze bietenden Parkhaus (oder bei einem der Privatanbieter) abzustellen. Die Weiterreise erfolgt per Bahn, Limousinenservice beziehungsweise Taxi – letztere ausnahmslos elektrisch betrieben. Steigt man schließlich in Zermatt aus, fallen sofort die putzigen elektrischen Busse auf, die teilweise direkt von Hotels oder Pensionen betrieben werden. Diese Elektromobile bewältigen den Transport von Gästen und deren Gepäck mehr als zufriedenstellend – seit Jahrzehnten. Der Nostalgie wegen verkehren zudem ein paar Pferdefuhrwerke. Gut, die engen Straßen Zermatts könnten einen herkömmlichen Straßenverkehr ohnehin nicht meistern. Geschweige denn gäbe es genügend Parkflächen.
Bahn statt Straße, Elektro statt Benzin
Zermatt war schon immer autofrei. Das liegt zunächst einmal natürlich an der Lage am Talschluss des Mattertals – schwer zu erschließen also. Dass die Zufahrtsstraße nicht sofort ausgebaut wurde, als der Tourismus zu florieren begann, war (und ist bis heute) auch ein Politikum. 1931 wurde beschlossen, voll auf die Bahn zu setzen. Ein Wintersportort könne ohne Bahnzufahrt gar nicht existieren, Straßen unterlägen viel heftiger den Wetterkapriolen und seien bei Schneemassen und Eis unpassierbar. Die Visp-Zermatt-Bahn (heute als Matterhorn-Gotthard-Bahn unterwegs) drohte gar, sich beim Bau einer Zufahrtsstraße aus dem Ort zurückzuziehen. Schließlich fand man einen Kompromiss: Die Straße wurde gebaut, allerdings mit rigiden Nutzungsbeschränkungen belegt. Das bedeutet bis heute: kein motorisierter Individualverkehr (MIV) in Zermatt! Stattdessen wird seit 1933 der Bahnbetrieb nach Zermatt das ganze Jahr über aufrechterhalten. Lange wehrten sich die Bürger und Bürgerinnen sogar gegen den Betrieb von Elektrofahrzeugen. Erst seit dem befürwortendenden Abstimmungsergebnis im Jahr 1978 kurven jene batteriebetriebenen Vehikel durch den Ort, die dem Prädikat „autofrei“ weiterhin genügen sollen.
Das „Zermattmobil“ erlangt Weltruhm
Das erste Elektrofahrzeug soll die Zermatter Straßen bereits im Jahr 1947 befahren haben. Im Januar 1988, also mehr als 40 Jahre später, drehte der erste größere Elektrobus mit Platz für 50 Passagiere seine Runden. Bis zum Jahr 2018 gab es neun weitere Fahrzeuge, die zwischen 30 und 80 Menschen durch das Dorf und seine außenliegenden Weiler und Ortsteile brachten und dabei teilweise Steigungen bis zu 16 Prozent bewältigen. Heute sind rund 500 Elektros im Ort zugelassen, darunter an die 40 Taxis, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h. Form und Masse sind von der Gemeinde vorgegeben und haben das dörfliche Fortbewegungsmittel zur Marke gemacht. (Kein Scherz: Fast hätten die ikonischen New Yorker Yellow Cabs auf das Zermatter Fahrzeugmodell umgestellt.) Hergestellt werden die Wagen größtenteils in Zermatt selbst.
Mit 2.000 Kilogramm liegen die Elektromobile gut auf den winterlichen Straßen. Ihre Lebenserwartung beträgt 30 bis 40 Jahre, die Lebenserwartung der aus dem Hausnetz gespeisten Batterien beträgt zwischen vier und zwölf Jahre. Dafür sind die Modelle nicht gerade günstig: Die Preise bewegen sich zwischen 65.000 und 90.000 Schweizer Franken, bei Sonderanfertigungen sogar bis zu 120.000 Schweizer Franken. Und Sonderanfertigungen braucht es durchaus.
Verbrenner nur mit Sondergenehmigung
Denn: Die örtlichen Infrastrukturen bedienen sich ebenfalls der elektrischen Fortbewegungsmittel: Winterdienst, Abfallwirtschaft und Polizei in weiten Teilen – sie alle haben einen Antrieb aus 100 Prozent Strom aus Wasserkraft unter sich. Laut Romy Biner-Hauser, Gemeindepräsidentin Zermatts, sind es lediglich die sogenannten Blaulichtorganisationen, die sich auf Verbrennungsmotoren verlassen (dürfen). Also Rettungswägen und die Feuerwehr, aber auch Hausärzte und einige Gemeindedienste wie Wasserversorgung und Werkhof. All das ist aber im Verkehrsreglement ganz genau festgelegt. Die Zermatter Polizei nutzt neben Elektrofahrzeugen auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, da sie als Regionalpolizei auch die Talgemeinden mitabdeckt. Ansonsten zeigt sich: es geht alles problemlos elektrisch: Güterumschlag, Transport von Mensch und diversen Maschinen.
Themenverwandt: Ultra-Schnellladeinfrastruktur – das „Rückgrat der Elektromobilität“
„Am Spezialfall Zermatt lassen sich eine Reihe von Zusammenhängen ablesen, die perspektivisch auch anderenorts von Bedeutung sein können“, sagt Thomas Bernhard, Dipl. Politologe vom Berner Planungs- und Beratungsunternehmen IC Infraconsult, das sich auf die Bereiche Raum und Mobilität, Umwelt, Gesellschaft-Wirtschaft, Public Management und Kommunikation spezialisiert hat. So habe der „fehlende MIV“ zahlreiche positive Effekte auf und für Zermatt. Es herrsche ein angenehmes Nebeneinander zwischen Fußgängern, Fahrradfahrern und E-Fahrzeugen. Fußläufig sei nahezu alles binnen 20 Minuten zu erreichen. Der Ort ist für Menschen, nicht für Autos gebaut – und wächst auch nur nach dieser Devise. Der radikale Verkehrsgrundsatz, so Bernhard, verhelfe dem Ort immer wieder dazu, den knappen Raum nicht in großem Maß für verkehrliche Zwecke wie Strassen oder Parkplätze zu verwenden, sondern ihn für höhere Wertschöpfungsformen wie Wohnen, Gewerbe oder öffentliche Infrastrukturen vorzubehalten. Wichtige Erfahrungen mache der Ort immer wieder mit unterschiedlichsten Fahrzeugalternativen, neuen Betriebs- und Ausleihsystemen oder Hubs zugunsten der kombinierten Mobilität. Das Fazit des Experten: „Der Spezialfall Zermatt lässt sich nicht einfach anderswohin übertragen. Er liefert aber inspirierendes Anschauungsmaterial zugunsten einer möglichst hohen Ortsverträglichkeit bei der Deckung unserer Mobilitätsbedürfnisse.“
Was ist mit der deutschen kommunalen Elektromobilität?
Aus der Schweiz in die Bundesrepublik. Hier ist 2015 bekanntlich das Elektromobilitätsgesetz in Kraft getreten, mit dem Kommunen elektrisch betriebenen Fahrzeugen im Straßenverkehr besondere Privilegien einräumen können. Das Gesetz gibt bei der öffentlichen Auftragsvergabe verbindliche Mindestziele hinsichtlich der Beschaffung für emissionsarme und -freie Pkw sowie leichte und schwere Nutzfahrzeuge (insbesondere für Busse im ÖPNV) vor. Seit August 2021 gelten die Vorgaben. Sie verpflichten die öffentliche Hand sowie für einzelne Dienstleitungen auch gewisse privatrechtlich organisierte Akteure (z. B. Post- und Paketdienste, Stadtreinigung) dazu, einen Teil ihrer Fahrzeugflotte emissionsarm oder -frei zu betreiben. Laut der vierten Befragung deutscher Kommunen zum Thema Elektromobilität vom Oktober 2021 befindet sich Deutschland auf einem guten Weg. So waren zum Zeitpunkt der Befragung bereits 80 Prozent der deutschen Kommunen im Thema Elektromobilität aktiv; weitere knapp 10 Prozent planten in das Thema einzusteigen – Großstädte häufiger als kleinere Kommunen. Die meisten aktiven Kommunen kümmern sich um Ladeinfrastruktur oder um die Beschaffung von Elektrofahrzeugen für den Fuhrpark. Die Potenziale der E-Mobilität werden insbesondere im Bereich Klimaschutz und für das Image der Kommune hoch eingeschätzt. Jedoch stehe vor allem Personal- und Geldmange einer noch größeren Elektifizierung im Wege.
Gleichzeitig gilt: „Kommunen, die beim Ausbau der Ladeinfrastruktur von Anfang an vom Ziel der vollständigen Elektrifizierung des Straßenverkehrs ausgehen, sind doppelt im Vorteil.“ Das sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende (ein Thinktank für klimaneutrale Mobilität mit Sitz in Berlin) in einer Pressemitteilung. Würden Kommunen beim Ausbau von Ladeinfrastruktur die Priorität auf Ladepunkte im privaten und halböffentlichen Raum setzen, könnten sie wertvollen und meist knappen öffentlichen Raum besser zur Nutzung für anderen Zwecke freihalten, etwa für den Fuß- und Radverkehr und den öffentlichen Verkehr. Das gehe aus einem Leitfaden für Kommunen hervor, den der Thinktank in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund erarbeitet hat.
Leitfaden hilft Kommunen
Der Leitfaden, den das Planungsbüro ISME – Institut Stadt | Mobilität | Energie im Auftrag von Agora Verkehrswende erstellt hat, beschreibt die verschiedenen Anwendungsfälle des Ladens, erklärt die Wechselwirkungen zwischen Laden im privaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum, skizziert beispielhaft das Vorgehen einer Kommune und gibt Hinweise auf weiterführende Hilfsmittel. Der Leitfaden empfiehlt, dass Kommunen zunächst die Zuständigkeiten für das Thema in der Verwaltung festlegen und im Dialog mit relevanten Akteuren vor Ort ein Gesamtkonzept für den Ausbau der Ladeinfrastruktur erarbeiten. Dabei müssen Fragen geklärt werden wie: Welche Lademöglichkeiten sind bereits vorhanden? Wie wird sich die Elektromobilität und der Ladebedarf in der Kommune entwickeln? Welche potenziellen Standorte gibt es, vor allem im privaten und halböffentlichen Raum? Auf der Grundlage eines solchen Konzepts können Kommunen die Planung detaillierter ausarbeiten und die Umsetzung koordinieren.
Damit Kommunen eine koordinierende Rolle beim Ausbau der Ladeinfrastruktur einnehmen können, brauchen sie mehr Unterstützung durch Bund und Länder, betont Kerstin Meyer, Projektleiterin Fahrzeuge und Antriebe bei Agora Verkehrswende. „Dazu gehört etwa mehr Förderung für den Aufbau von Wissen und Planungskapazitäten in den Verwaltungen für die Erstellung von Konzepten für Ladeinfrastruktur. Informationen über den Ausbaustand der Ladeinfrastruktur sollten zentral gesammelt und vom Bund für Kommunen leicht verfügbar gemacht werden.“
Ausbau von Ladeinfrastruktur mit Mobilitätswende zusammendenken
Am Ende komme es auch darauf an, dass Kommunen den Ausbau der Ladeinfrastruktur mit der Mobilitätswende zusammendenken, sagt Janna Aljets, Projektleiterin Städtische Mobilität bei Agora Verkehrswende. Angesichts der Erderhitzung steige der Bedarf, Verkehr auf Fuß- und Radwege sowie auf Busse und Bahnen zu verlagern; viele Kommunen planten auch mehr Grünanlagen und Wasserspeicher. „Kommunen, die das Thema nur auf sich zukommen lassen, riskieren Fehlinvestitionen, Konflikte und Verunsicherung. Wer den Ausbau der Ladeinfrastruktur proaktiv angeht, kann seine Strategien zur Nutzung des öffentlichen Raums insgesamt besser realisieren.“
Die Publikation „Stadt, Land, Ladefluss. Ein Leitfaden für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Kommunen“ steht unter www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen kostenlos zum Download zur Verfügung.
Titelfoto: Elektrobusbetriebe Zermat
Quellen:
https://www.brennpunkt-landschaft.ch„
Zermatt autofrei – Spezialfall mit Lerneffekten“ von Thomas Bernhard
Factsheet | Kommunen und Elektromobilität
Pressemitteilung Agora Verkehrswende